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Ludwig Wittgenstein und die "Philosophischen Zombies"

 

 
Einführung
 
Erster Teil: Darstellung 
 Philosophische Zombies
 Meinen, Wissen, Denken und Verstehen
 Liebe und "tiefer Kummer"
 "Privilegierter Zugang"
 Privilegierter Zugang = Wahrnehmung?
 Privilegierter Zugang und Wissen
 Der Käfer in der Schachtel
 Privatsprache
 Bedeutung und Gebrauch
 Gebrauch in der 3. Person
 Gebrauch in der 1. Person
 
Zweiter Teil: Fragen 
 Gehirn und Verhalten
 Behaviorismus
 Superspartaner
 Verstellung
 Schmerzen als Beispiel
 Unbewusste Schmerzen
 Thomas Nagel
 Mary
 Philosophische Zombies
 
 
Anmerkung: Vorsicht! Mein Text ist nicht völlig fertig, und einige Thesen sind nicht ausreichend belegt!

Einführung  


Der erste Teil dieses 1999 entstandenen Textes soll die Philosophie des Bewusstseins darstellen, wie sie von Wittgenstein in seinen späteren Schriften entwickelt (oder angedeutet) wurde - kurz und auf das Wesentliche beschränkt und natürlich nur so, wie ich sie verstanden habe. - Die verwendeten Zitate stammen aus den "Philosophischen Untersuchungen" (PU) und den unter dem Namen "Philosophische Untersuchungen. Teil 2" veröffentlichten Bemerkungen (PU II).

Wittgenstein selbst benutzt den Begriff "Bewusstsein" selten und spricht lieber von Empfindungen, Schmerzen, Denken usw. - Der Begriff "Bewusstsein" soll hier daher lediglich als Sammelbegriff für alle "mentalen Phänomene", die "erlebt" oder "erfahren" werden, verwendet werden und manchmal auch im Sinne eines gedachten Rahmens für die einzelnen Bewusstseinsphänomene (Gefühle sind "im Bewusstsein", analog zu "im Kopf") - ohne weiter definiert zu werden.

In diesem Sinne muss z. B. die Frage, ob Fische Bewusstsein haben, mit Ja beantwortet werden, wenn sie Schmerzen empfinden, auch wenn sie kein "Selbst-" oder "Ich-Bewusstsein" haben (was immer das ist). "Bewusstsein", so wie der Ausdruck hier gebraucht wird, entspricht also in etwa dem etwas komplizierteren Ausdruck "Phänomenales Bewusstsein".

Der zweite Teil des Textes versucht, auf naheliegende Fragen zu antworten, die sich aus Wittgensteins Bewusstseinstheorie ergeben, und letztere gegen eine Reihe von Einwänden zu verteidigen. Dieser Teil ist stärker von eigenen oder angelesenen, aber jedenfalls nicht Wittgensteinischen Überlegungen geprägt als der erste Teil.


Erster Teil:  Darstellung


 Philosophische Zombies

Der "philosophische Zombie" ist als Gedankenexperiment in der jüngeren Bewusstseinsphilosophie berühmt geworden, weil er es erlaubt, das philosophische Problem des Bewusstseins leicht verständlich und auf den Punkt gebracht darzustellen.

Man stelle sich vor, es gäbe Wesen, die wie Menschen aussehen, sich wie normale Menschen verhalten, und deren Körper und Gehirn so aufgebaut sind und so funktionieren, wie das Gehirn und der Körper von Menschen. - Der einzige Unterschied dieser Wesen zu Menschen besteht darin, dass sie völlig unbewusst sind (daher die Benennung "philosophische Zombies").

Wenn sich ein Zombie an einer Herdplatte verbrennt, schreit er z. B. zornig auf - so wie es Menschen tun würden - und es laufen dieselben neurologischen Prozesse in ihm ab, die in Menschen ablaufen. Und wenn man den Zombie fragt: "Hast Du Schmerzen?" antwortet er: "Ja, natürlich, du Idiot!". - Doch Schmerzen oder Zorn fühlt der Zombie in Wahrheit nicht, so wie sein Sprechen auch nicht von Vorstellungen begleitet wird. Es gibt nichts, was der Zombie erlebt oder erfährt.

Der Witz des Gedankenexperimentes liegt einfach darin, dass der Zombie denkbar (=logisch möglich) ist (oder zu sein scheint). Die Folgerung daraus ist drastisch: Sie läuft nämlich darauf hinaus, dass keine Beschreibung von Verhalten oder Physiologie eines Menschen, und auch keine noch so detaillierte Erforschung des Gehirns in der Lage ist, das Bewusstsein zu erfassen. Ja, es kann gar keine naturwissenschaftliche Bewusstseinsforschung geben, da jede natürliche Eigenschaft eines Menschen (also das, was die Naturwissenschaft erfassen kann) mit seiner völligen Unbewusstheit kompatibel wäre.

Doch es geht noch weiter. Da die Unbewusstheit des Zombies nicht durch wissenschaftliche Methoden festgestellt werden kann, ist es denkbar, dass alle Menschen - mit der Ausnahme der eigenen Person - solche Zombies sind. Und mehr als das. Ich kenne nämlich nur ein einziges Beispiel für Bewußtheit (mich selbst nämlich). Und von diesem einen Fall soll ich auf 7 Milliarden andere Menschen schließen? Unter diesem Gesichtspunkt scheint es also gar nicht so unwahrscheinlich, dass tatsächlich alle anderen Menschen Zombies sind!

Es gibt - denke ich - zwei grundsätzliche Haltungen, die man gegenüber dem Gedankenexperiment einnehmen kann. Die eine sieht so aus:

a) Das Experiment zeigt überzeugend, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als die Naturwissenschaft erklären kann. Das Bewusstsein ist eines davon - ein Mysterium, das vielleicht (hoffentlich?) niemals aufgeklärt werden wird.

Die alternative Haltung wäre so:

b) Die unannehmbaren Konsequenzen des Gedankenexperimentes deuten darauf hin, dass hier irgendwas nicht stimmt. Es gibt Gründe (auch wenn sie nicht gleich auf der Hand liegen), warum es nicht denkbar ist, dass es philosophische Zombies gibt.

Wittgensteins Bewusstseinsphilosophie lässt sich als eine Argumentation für b) verstehen (auch wenn Wittgenstein selbst das Zombie-Experiment noch nicht kannte.)

 Meinen, Wissen, Denken und Verstehen

Wittgenstein vertritt die Auffassung, dass es eine ganze Reihe von Begriffen gibt, die scheinbar auf Bewusstsein Bezug nehmen, aber bei näherem Hinsehen eine andere Bedeutung haben.

Einer dieser Begriffe ist das Meinen, wie z. B. in dem Satz "Mit dem Wort 'er' meinte er Napoleon."

Nach einem naheliegenden Vorurteil ist Meinen ein "geistiger Akt", der z. B. die Worte begleitet, die ich ausspreche. Wenn wir "geistiger Akt" als "bewusster Akt" verstehen, sollte es also möglich sein, diesen Akt durch Introspektion festzustellen, d. h. indem wir darauf achten, was "in unserem Kopf" vorgeht, wenn wir etwas sagen. - Es zeigt sich jedoch, dass wir uns in einer gewöhnlichen Sprechsituation solcher Akte nicht bewusst sind.

Ausserdem sollte es möglich sein, per Willenskraft ungewöhnliche "Akte des Meinens" auszuführen:

[PU II] Wenn ich sage "Herr Schweizer ist kein Schweizer", so meine ich das erste "Schweizer" als Eigenname, das zweite als Gattungsname. Muß da also beim ersten "Schweizer" etwas anderes in meinem Geiste vorgehen, als beim zweiten? [...] - Versuch, das erste "Schweizer" als Gattungsnamen und das zweite als Eigennamen zu meinen! - Wenn ich's tue, blinzele ich mit den Augen vor Anstrengung, ... [...]

Beides deutet darauf hin, dass es zumindest keine bewussten "Akte des Meinens" gibt. Aber was ist "Meinen" dann, wenn es kein bewusster geistiger Akt ist? - Wie immer, wenn es darum geht, was etwas ist, versucht Wittgenstein die Frage dadurch zu beantworten, dass er beschreibt, wie das jeweilige Wort von uns verwendet wird.

Ein wesentlicher Aspekt der Verwendung sind Kriterien: Welche Tatsachen garantieren die Wahrheit des Satzes "Er meinte Napoleon, als er 'er' sagte"? Wenn man dieser Frage nachgeht, stellt sich heraus, dass es gar keine Rolle spielt, was "im Kopf" des Sprechers vorging oder nicht. Stattdessen ergibt sich die Wahrheit des Satzes aus einem größeren Zusammenhang, nämlich z. B. aus dem, was der Sprecher zuvor äußerte und aus dem, was er vielleicht noch äußern wird. ("Er hat nicht Napoleon gemeint, denn er sagte zuvor 'er lebte im Mittelalter'")

Man könnte jetzt natürlich einwenden, dass doch zumindest der Sprecher wissen muss, was er meint, und geht auf diese Weise dann nicht doch irgendetwas ganz Spezielles "in seinem Kopf" vor?

Das führt uns zum Begriff "Wissen". Dass ich etwas weiss, hat nämlich gleichfalls nichts mit dem zu tun, was "in meinem Bewusstsein vorgeht". - Denn dass ich z. B. die Bedeutung von einigen Tausend englischer Vokabeln kenne, heisst nicht, dass ich permanent an diese Vokabeln denke. Es heisst nur, dass ich die Wörter ggf. richtig verwenden oder ihre deutsche Übersetzung sagen kann und dass ich auf die Frage "Weisst Du die Bedeutung von ...?" mit "Ja" antworte.

Ein weiterer Begriff dieser Art ist "Denken" - erstaunlicherweise. Denn gehören die Gedanken in unserem Kopf nicht eindeutig zu dem, was ich "bewusst erlebe"?

Wittgenstein spielt das Thema anhand des Begriffs "Kopfrechnen" durch, das offensichtlich eine Spielart des Nachdenkens ist. Man nehme an, dass man in der Situation eines Lehrers sei, der wissen möchte, ob ein Kind, das soeben das Ergebnis einer Rechenaufgabe genannt hat, tatsächlich gerechnet hat oder nur geraten. Wenn die Aufgabe "7 * 8" gelautet hat, und das Kind sagt "1000" wird man nicht annehmen, dass das Kind gerechnet hat. Anders hingegen, wenn es "56" oder "48" sagt (im ersten Fall hat es "richtig gerechnet", im zweiten Fall "falsch" - aber es ist auch im zweiten Fall wahrscheinlich, dass es tatsächlich gerechnet hat).

Wofür man sich als Lehrer in dieser Situation allerdings gar nicht interessiert, ist was "im Kopf" des Kindes vorgegangen ist. Und was geht überhaupt in einem Menschen vor, der kopfrechnet? (In meinem Fall habe ich diverse verschwommene Vorstellungen von Ziffern und geometrischen Figuren sowie ein Gefühl von Anstrengung.) - Wittgenstein verweist auch auf die inselbegabten Rechengenies, die auf Nachfrage nicht genau sagen können, wie sie es geschafft haben, z. B. die 45. Wurzel von 343.243 in zwei Sekunden mit mehr Stellen auszurechnen als ein konkurrierender Taschenrechner.

Denken scheint also sehr wesentlich mit sichtbaren Ergebnissen zu tun zu haben und nicht mit irgendwas im Bewusstsein. Was ist das Kriterium dafür, dass z. B. ein Schimpanse nachgedacht hat? Der bekannte Beispielfall: ein Schimpanse sieht eine Banane an der Decke hängen und eine Reihe von Kisten im Raum herumliegen. Er betrachtet das Ganze eine Weile, dann stapelt er die Kisten, steigt auf den Stapel und holt sich die Banane. - Was es plausibel macht, dass der Schimpanse tatsächlich nachgedacht hat, ist schlicht der Umstand, dass er - ohne Herumzuprobieren - eine Lösung seines Problems gefunden hat.

Ähnlich verhält es sich mit dem Gebrauch des Wortes "Verstehen": Auch hier sind nicht seelische Vorgänge das Entscheidende, sondern Ergebnisse - jemand hat nicht dann verstanden, wie eine Zahlenreihe (z. B. 2, 4, 6, 8, 10, ...) fortzusetzen ist, wenn er eine subjektive Erleuchtung hat, sondern wenn er die Reihe tatsächlich fortsetzen kann. "Gefühle des Verstandenhabens" sind zwar charakteristische Begleiterscheinungen des Verstehens, sind aber nicht selbst das Verstehen.

Was bedeuten diese Befunde für die Möglichkeit eines "philosophischen Zombie"? - Offenbar, dass ein Zombie trotz seiner völligen Unbewusstheit meinen, denken, wissen und verstehen kann.

 Liebe und "tiefer Kummer"

In beiden Fällen liegt es nahe, anzunehmen, dass die Ausdrücke Gefühle benennen, also in direkter Weise auf Bewusstseinsinhalte Bezug nehmen. - Das stellt sich als falsch heraus:

[PU II] "Er fühlte für eine Sekunde heftigen Schmerz." - Warum klingt es so seltsam: "Er fühlte für eine Sekunde tiefen Kummer"? Nur weil es so selten vorkommt?

Der Grund dafür liegt - darauf zielt Wittgenstein ab - darin, dass der Ausdruck "tiefer Kummer" mehr verlangt als nur das Vorliegen eines aktuellen Gefühls. Man könnte sagen, dass tiefer Kummer (Trauer) eine Disposition darstellt - für ein bestimmtes Verhalten und für bestimmte Gefühle. Wenn die Ehefrau des am Morgen verstorbenen Alkoholikers am Abend zu einer Party geht, liegt der Verdacht nahe, dass ihr Kummer nicht "tief" sein kann - auch wenn sie durchaus Gefühle des Kummers hat. Aber selbst wenn sie nicht auf die Party geht, sondern in die Abendmesse, hat sie keinen "tiefen Kummer", wenn sie gar keine Gefühle des Kummers hat. - Beides spielt eine Rolle.

Analoges gilt für "Liebe":

[PU 587] [...] Es hat Sinn zu fragen: "Liebe ich sie wirklich, mache ich mir das nicht nur vor?" und der Vorgang der Introspektion ist das Wachrufen von Erinnerungen; von Vorstellungen möglicher Situationen und der Gefühle, die man hätte, wenn ...

In diesem Sinne können andere Menschen u. U. besser beurteilen, ob jemand liebt oder nicht - z. B. anhand des tatsächlichen Verhaltens gegenüber dem Geliebten. Wer Gefühle der Verliebtheit hat, die betreffende Person aber sofort im Stich lässt, wenn sie in Schwierigkeiten gerät, liebt sie "nicht wirklich".

Man muss sich vor Augen führen, dass zahlreiche Wörter in zwei Bedeutungen auftreten, einer dispositionalen und einer, in der das Wort direkt auf ein Bewusstseinsphänomen bezogen ist (das gilt auch für "Liebe" - auch wenn man für die nicht-dispositionale Bedeutung besser den Ausdruck "Gefühl der Verliebtheit" benutzt).

Wenn ich z. B. sage "Meine Bauchschmerzen sind wieder da" bezieht sich "Bauchschmerzen" nicht auf meinen aktuellen Schmerzzustand allein, sondern auf regelmäßig wiederkehrende ähnliche Schmerzen. Ich "habe" diese Art von Bauchschmerzen auch dann, wenn ich gerade gar keine Schmerzen habe. ("Sind Deine Bauchschmerzen weg?" - "Nein, ich hatte gestern wieder Schmerzen.") - Diesen Gebrauch von "Schmerzen" kann man als "dispositional" bezeichnen.

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Als erstes Resultat von Wittgensteins Überlegungen ergibt sich, dass der Bereich des bewussten Erlebens erheblich kleiner ist, als man annehmen möchte. Vorstellungen, Empfindungen, Gefühle sind Teil davon, jedoch nicht Wissen, Meinen, Denken (und Willensakte - worauf ich hier nicht eingehen will). - Und in einem bestimmten Sinne auch Liebe, Hass und Trauer nicht.

(Sind Gedanken Teil meines Bewusstseins? Auf jeden Fall als innere Monologe, also Vorstellungen von Wörtern.)

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass Wittgenstein für seine Überlegungen zum Bewusstsein bevorzugt den Begriff "Schmerz" / "Schmerzen" analysiert. Dafür kann man zwei Gründe anführen: Zum einen lassen sich im Falle dieses Wortes dispositionale Verwendungen klar von der Verwendung als "Bewusstseinswort" unterscheiden. Zum anderen sind die nicht-sprachlichen Verhaltensweisen, die mit Schmerz verknüpft sind, ziemlich übersichtlich. - Auf die Probleme, die dieses Verfahren möglicherweise aufwirft, gehe ich hier nicht ein.

 "Privilegierter Zugang"

Wie steht es nun um die verbliebenen "Bewusstseinsphänomene", also Vorstellungen, Empfindungen, Gefühle? ("Gefühl" und "Empfindung" werden häufig synonym verwendet. Ich ziehe eine Unterscheidung vor, die nach meiner Erinnerung von Spinoza vorgenommen wurde: Empfindungen haben einen körperlichen Ort, Gefühle nicht. Schmerzen habe ich z. B. im Bein, und ein "Krankheitsgefühl" im ganzen Körper, daher sind beides Empfindungen. Eine düstere Stimmung oder Gefühle der Verliebtheit habe ich "nirgendwo" - es handelt sich also um Gefühle.)

Während Denken, Meinen und Wissen den Vorteil haben, dass es äußere Kriterien dafür gibt, scheinen die Bewusstseinsvorgänge sozusagen "privat" zu sein - d. h. kein äußeres Kriterium kann mich zweifelsfrei darüber belehren, ob ein Mensch gerade Schmerzen hat oder Depressionen oder sich Napoleon vorstellt. (Was immer ein Wesen tut oder sagt, und was immer in seinem Gehirn geschieht - nichts kann sicherstellen, dass es dabei etwas erlebt. Das Wesen könnte ja ein Zombie sein ...)

Anders ausgedrückt - ich kann wissen, ob jemand weiss, wie man sich die Schuhe zubindet (ich muss nämlich nur sehen, dass er es macht). Aber ich kann offenbar nicht wissen, ob jemand gerade Schmerzen hat oder nicht (was immer er macht - er könnte sich erstens ja verstellen oder zweitens sogar ein Zombie sein). - Mit der Ausnahme der eigenen Person, und hier kommen wir zu einem äußerst wichtigen Punkt.

Offenbar kann ich mir vorstellen, dass alle anderen Menschen in Wahrheit Zombies sind, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein Zombie bin. Warum? - Der Grund scheint darin zu liegen, dass ich zu meinen eigenen Bewusstseinsinhalten einen "privilegierten Zugang" habe (der Ausdruck stammt nicht von Wittgenstein). Ich weiss, dass ich Schmerzen habe, dass ich mir jetzt gerade etwas vorstelle usw. - Und daher weiss ich auch, dass ich Bewusstsein habe und kein Zombie bin!

Ich möchte an dieser Stelle eine Argumentation anführen, die nicht von Wittgenstein, sondern von Gilbert Ryle stammt, die aber Wittgenstein vermutlich "unterschreiben" würde (Ryle war ein britischer Philosoph, der analog zu Wittgenstein dachte - vielleicht auch von Wittgenstein beeinflusst war.)

 Privilegierter Zugang = Wahrnehmung?

Die Frage ist - wenn es einen "privilegierten Zugang" zu den Inhalten meines eigenen Bewusstseins gibt - worin dieser Zugang besteht. Besteht er darin, dass ich meine eigenen Schmerzen usw. wahrnehme, während andere sie nur erschliessen können?

Die Antwort darauf lautet: Nein, ich nehme meine "inneren Zustände" nicht wahr, weil der Begriff der Wahrnehmung bestimmte Implikationen hat, die im Falle der Introspektion nicht gegeben sind. So ist die Wahrnehmung eines Dings von dem Ding selbst logisch getrennt - ein Ding kann immer existieren, ohne dass es von mir wahrgenommen wird. Genau das ist jedoch nicht der Fall, wenn es um meine "inneren Zustände" geht. Wenn ich Schmerzen habe, bin ich mir bewusst, dass ich Schmerzen habe. Schmerzen, die ich habe ohne dass ich sie fühle sind ein offenkundiger Widerspruch. ("Ich habe jetzt gerade starke Zahnschmerzen, die ich jedoch nicht wahrnehme.")

Ein anderer Punkt ist, dass Wahrnehmungen von unterschiedlicher Qualität sein können. Ich kann etwas verschwommen wahrnehmen oder klar. Ich kann aber z. B. eine Vorstellung nicht klar oder verschwommen haben - ich habe sie einfach. Die Vorstellung selbst kann verschwommen sein, aber nicht mein Haben der Vorstellung. Ich kann einen unklaren Schmerz im Oberbauch haben, aber ich kann nicht unklar einen Schmerz im Oberbauch haben.

Ein wirklich erhobener Einwand gegen die sich aufdrängende Schlussfolgerung, dass wir unsere "inneren Zustände" nicht wahrnehmen lautet, dass die Wahrnehmung in diesem Fall halt anders sei als in den gewöhnlichen Fällen von Wahrnehmung - die Wahrnehmung erfolgt ohne die übliche Distanz zum wahrgenommenen Gegenstand, sie ist "unmittelbare Anschauung".

Doch auch eine "unmittelbare Anschauung" wäre immer noch eine Anschauung, die eine logische Trennung des "Anschauers" von dem angeschauten Ding voraussetzt. Auch wenn ich meine Schmerzen "unmittelbar wahrnehme" müsste es daher denkbar sein, dass ich Schmerzen habe, ohne sie wahrzunehmen oder "anzuschauen" - was nicht der Fall ist. - Es scheint also, dass der Begriff einer "unmittelbaren Anschauung" die These, dass wir unsere inneren Zustände wahrnehmen, nicht retten kann.

 Privilegierter Zugang und Wissen

Wenn ich meine "inneren Zustände" nicht wahrnehme - beweist nicht allein der Umstand, dass ich von ihnen mit Sicherheit weiss, dass es einen privilegierten Zugang geben muss? Denn wenn ich sage, dass ich etwas weiss, deute ich ja an, dass ich besondere, gute Gründe für die Annahme habe ("ich habe mich davon überzeugt"). Und worin sollten diese Gründe im Falle von "Ich habe Schmerzen" bestehen, wenn nicht in meinem privilegierten Zugang?

 [PU 246] Inwiefern sind nun meine Empfindungen privat? - Nun, nur ich kann wissen, ob ich wirklich Schmerzen habe; der Andere kann es nur vermuten. - Das ist in einer Weise falsch, in einer anderen unsinnig. Wenn wir das Wort "wissen" gebrauchen, wie es normalerweise gebraucht wird (und wie sollen wir es denn gebrauchen!), dann wissen es Andre sehr häufig, wenn ich Schmerzen habe. - Ja, aber doch nicht mit der Sicherheit, mit der ich selbst es weiß! - Von mir kann man überhaupt nicht sagen (außer etwa im Spaß), ich wisse, daß ich Schmerzen habe. Was soll es denn heißen - außer etwa, daß ich Schmerzen habe? [...]

[PU II] Man sagt "Ich weiss", wo man auch sagen kann "Ich glaube", oder "Ich vermute"; wo man sich überzeugen kann. (Wer mir aber vorhält, man sage manchmal "Ich muß doch wissen, ob ich Schmerzen habe!", "Nur du kannst wissen, was du fühlst" und ähnliches, der soll sich die Anlässe und den Zweck dieser Redensarten besehen. "Krieg ist Krieg!" ist ja auch nicht ein Beispiel des Identitätsgesetzes.)

Nach Wittgenstein ist der Satz "Ich weiss, dass ich Schmerzen habe" unsinnig. Das verlangt nach einer Erklärung, denn er wirkt auf den ersten Blick recht sinnvoll. - Der wesentliche Punkt ist hier, dass der Satz "Wenn ich Schmerzen habe, dann weiss ich, dass ich sie habe" eine Tautologie ist. Wie die meisten Tautologien hat er keinen wörtlichen, sondern nur einen metasprachlichen Gebrauch - wer diesen Satz äußert, kann damit andeuten, dass das Sprachspiel mit den Worten "Wissen"/"Vermuten"/"Glauben" im Falle von Schmerzen in der 1. Person nicht gespielt wird.

Wenn jemand zu mir sagt "Ich weiss, dass XY 60 Jahre alt ist" gibt mir seine Verwendung von "wissen" eine zusätzliche Information, nämlich dass er nicht nur behauptet, XY sei 60 Jahre alt, sondern dass er für die Behauptung gute Gründe zu haben meint, die ich auch akzeptieren könnte - vielleicht einen besonderen Zugang zu etwas, z. B. zum Personalausweis der betreffenden Person. "Ich weiss, dass P" sagt also hier mehr aus als nur "P".

Der Satz "Ich weiss, dass ich Schmerzen habe" ist aber aufgrund der Tautologizität von "Wenn ich Schmerzen habe, dann weiss ich, dass ich sie habe" nicht informativer als der Satz "Ich habe Schmerzen". Er kann also nicht als Indiz dafür dienen, dass der Sprecher des Satzes einen besonderen Zugang zu der Tatsache hat, dass er Schmerzen hat.

 Der Käfer in der Schachtel

Wenn es sich als so schwierig erweist, zu erklären, worin der "privilegierte Zugang", den jeder Mensch zu seinen eigenen Empfindungen / Vorstellungen usw. hat, besteht, legt das den Verdacht nahe, dass schon das Wort "Zugang" vielleicht irreführend ist. - Suggeriert es nicht wie "Wahrnehmung" eine logische Trennung zwischen demjenigen, der den Zugang hat und demjenigen, zu dem er Zugang hat? Kann ich nicht einen Zugang zu einem Ding nur dann haben, wenn es auch denkbar ist, dass das Ding existiert, ohne dass ich Zugang zu ihm habe?

Und in der Tat legt der Umstand, dass "Schmerz" oder "Vorstellung" Substantive sind, nahe, dass es sich auch hier um Dinge handelt, zu denen ich Zugang habe - nämlich zu den Dingen, die von den Substantiven bezeichnet werden. (Und so kann ich bei dieser Gelegenheit auch definieren, was der Unterschied zwischen einem Zombie Karl und einem ansonsten identischen Menschen Max ist - es existieren Dinge wie "die Schmerzen von Max" oder "die Vorstellungen von Max" aber es existieren keine Dinge wie "die Schmerzen von Karl" oder "die Vorstellungen von Karl".)

Und diese Idee - dass Worte wie "Schmerzen" oder "Vorstellung" Benennungen von Dingen sind - kritisiert Wittgenstein in seinem m. E. wichtigsten Gedankengang zur Bewusstseinsproblematik:

[PU 272] Das Wesentliche am privaten Erlebnis ist eigentlich nicht, daß Jeder sein eigenes Exemplar besitzt, sondern daß keiner weiß, ob der Andere auch dies hat, oder etwas anderes. Es wäre also die Annahme möglich - obwohl nicht verifizierbar - ein Teil der Menschheit habe eine Rotempfindung, ein anderer Teil eine andere.

Auf was will Wittgenstein mit diesem "inverted qualia"-Experiment hinaus? Er will darauf hinweisen, dass es im Falle von Gegenständen, zu denen nur ein Einziger Zugang hat, möglich wäre, dass ein anderer Mensch, der einen mit demselben Ausdruck benannten Gegenstand wie ich hat, trotzdem einen ganz anderen Gegenstand hat. Wir begegnen hier also der Absurdität, dass die Bezeichnung eines Gegenstandes diesen nicht festlegt - er könnte so oder auch anders sein. Die "Rotempfindung" des Anderen könnte z. B. auch meiner Empfindung beim Hören einer Dissonanz entsprechen und umgekehrt.

Man muss beachten, dass hier nicht von Phänomenen wie z. B. Synästhesie oder Farbenblindheit die Rede ist. Solche Phänomene haben äußere Kriterien - sie äußern sich im Verhalten und in Sprachäußerungen. Hier ist von etwas die Rede, was sich prinzipiell nicht verifizieren lässt, da es keinen Niederschlag im Verhalten (oder auch, so kann man ergänzen, in Gehirnvorgängen) findet. - Auch derjenige, dessen Grünempfindung meiner Rotempfindung entspricht (und umgekehrt) hält bei Rot, fährt bei Grün und bezeichnet "Rot" als eine wärmere Farbe als "Grün".

[PU 293] [...] Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! - Angenommen, es hätte jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir "Käfer" nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. [...] - Aber wenn nun das Wort "Käfer" dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? - So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein. - Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann 'gekürzt werden'; es hebt sich weg, was immer es ist.

[PU 271] "Denke dir einen Menschen, der es nicht im Gedächtnis behalten könnte, was das Wort 'Schmerz' bedeutet - und der daher immer wieder etwas Anderes so nennt - das Wort aber dennoch in Übereinstimmung mit den gewöhnlichen Anzeichen und Voraussetzungen des Schmerzes verwendete!" - der also verwendet, wie wir Alle. Hier möchte ich sagen: das Rad gehört nicht zur Maschine, das man drehen kann, ohne daß Anderes sich mitbewegt.

Aus dem Umstand, dass das Wort "Schmerzen" einen Gebrauch in der Sprache hat, ergibt sich also zwingend, dass seine Funktion nicht darin bestehen kann, etwas zu bezeichnen, was nur ein einzelner Mensch hat oder kennt.

 Privatsprache

Wenn man Wittgensteins Argumentation akzeptiert, aber immer noch der Auffassung ist, dass die Existenz des Schmerz-Objektes sozusagen selbstevident ist, könnte man auf den Ausweg verfallen, zu postulieren, dass das Wort "Schmerzen" neben dem gewöhnlichen Gebrauch noch einen zusätzlichen, privaten Gebrauch haben muss. Das heisst: Wenn ich sage "Ich habe Schmerzen" meine ich mit "Schmerzen" einerseits das, was alle Menschen damit meinen (ich meine also "Schmerzen" nicht als die Bezeichnung eines Gegenstandes). Ausserdem aber meine ich damit mein privates Erlebnis "Schmerzen", und in diesem Gebrauch wäre das Wort dann doch die Bezeichnung eines Gegenstandes - allerdings eine Bezeichnung, die nur ich alleine verstehe.

Wittgenstein widmet der Untersuchung, ob eine Privatsprache möglich ist, breiten Raum. Eine "Privatsprache" in seinem Sinn ist definiert als "Sprache, die meine innern Erlebnisse beschreibt, und die nur ich selbst verstehen kann" (PU 256). - Über das sog. "Privatsprachenargument" wurden ganze Bücher geschrieben, ich beschränkte mich hier auf zwei Punkte:

Wie könnten die Wörter der privaten Sprache eine Bedeutung erhalten? Durch eine Art "innere Hinweisdefinition": Ich habe eine bestimmte Empfindung und beschließe, sie fortan "Schmerzen" zu nennen. Nun gehört es aber zum Begriff einer Sprache, dass man Wörter richtig oder falsch verwenden kann. Wie kann ich also feststellen, ob ich das Wort in Zukunft richtig verwende, nämlich als Benennung für genau die Empfindung, die ich während des Taufaktes hatte? - Wittgenstein sagt: Ich kann es überhaupt nicht feststellen, da keine unabhängige Instanz existiert, die eine Überprüfung ermöglichen würde, sondern nur ich selbst.

Meine Erinnerung an den Taufakt kann mir nicht helfen, zu entscheiden, ob die Empfindung, die ich jetzt habe, die Empfindung ist, die ich während des Taufaktes hatte. Denn wie kann ich die Richtigkeit dieser Erinnerung prüfen, als nur wiederum durch eine weitere Erinnerung (und das wäre so ähnlich als "kaufe Einer mehrere Exemplare der heutigen Morgenzeitung, um sich zu vergewissern, daß sie die Wahrheit schreibt" (PU 265)).

Die Schlussfolgerung, die sich ergibt, ist, dass die "private Sprache" keine Sprache wäre, da eine Sprache über Regeln definiert ist, die man befolgen oder gegen die man verstossen kann. Im Falle der privaten Sprache existiert aber keine logische Unterscheidung zwischen "der Regel folgen" und "der Regel nur zu folgen glauben".

Was den zweiten Punkt angeht, lasse ich Wittgenstein selbst sprechen:

[PU 261] Welchen Grund haben wir, "E" [ein durch private Hinweisdefinition definiertes Wort] das Zeichen für eine Empfindung zu nennen? "Empfindung" ist nämlich ein Wort unserer allgemeinen, nicht mir allein verständlichen Sprache. Der Gebrauch dieses Wortes bedarf also einer Rechtfertigung, die Alle verstehen. - Und es hülfe auch nichts, zu sagen: es müsse keine Empfindung sein; wenn er "E" schreibe, habe er Etwas - und mehr könnten wir nicht sagen. Aber "haben" und "etwas" gehören auch zur allgemeinen Sprache. [...]

Es gibt also keine zusätzliche "private" Bedeutung von Wörtern wie "Schmerzen" oder "Rotempfindung" oder "Vorstellung". - Es stellt sich nun die Frage, worin die normale Bedeutung besteht, wenn diese Wörter keine Gegenstände bezeichnen.

 Bedeutung und Gebrauch

Wie werde ich mir über die Bedeutung eines Wortes der normalen Sprache klar? Wittgenstein hat plausibel dafür argumentiert, dass das probateste Mittel darin besteht, mir über den tatsächlichen Gebrauch des Wortes klar zu werden. - Doch eine Beschreibung des Gebrauchs ist keine triviale Angelegenheit, da der Umstand, dass ich ein Wort richtig verwende, noch nicht heisst, dass ich in der Lage bin, die gesamte Verwendung sofort zu überblicken. - Man denke an die frühen Dialoge Platos, in denen Sokrates nach der Definition von Worten fragt, die sowohl er als auch seine Gesprächspartner täglich verwenden (wie z. B. das Wort "Gerechtigkeit"). Wenn eine plausibel wirkende Definition gefunden wurde, fällt einem Dialogteilnehmer eine weitere Verwendungsweise des Wortes ein, an die man zuvor gar nicht gedacht hatte ...

In diesem Sinne denkt jemand (zumindest, solange er die PU noch nicht gelesen hat) wenn er nach der Bedeutung von "Spiel" gefragt wird, vermutlich sofort an Schach oder Fussball - aber sicher nicht an das Kinderspiel, so zu tun, als sei man ein Flugzeug.

Wie das berühmte Wittgensteinische Beispiel "Spiel" ausserdem zeigt, wird die Sache dadurch verkompliziert, dass es zahlreiche Gebrauchsweisen geben kann, die u. U. so dicht beieinander liegen, dass die Unterschiede erst bei genauem Hinsehen auffallen. - Es sticht nicht unmittelbar ins Auge, dass ein Fahrradschloss sich in wesentlichen Punkten von dem Schloss an der Zimmertür unterscheidet, so dass man diese Punkte bei dem Versuch einer Definition von "Schloss" vermutlich vergessen würde. - Und erinnern wir uns auch daran, dass "Schmerzen" in dem Satz "Meine Bauchschmerzen sind noch nicht weg, denn ich hatte gestern wieder Schmerzen" beim ersten Mal dispositional verwendet wird, und beim zweiten Mal als Empfindungswort.

 Gebrauch in der 3. Person

Während der Satz "Ich habe Pickel" und der Satz "Sie hat Pickel" ähnlich funktionieren (beide Sätze handeln von Dingen, die öffentlich sichtbar sind und ihre Wahrheit kann durch Beobachtung überprüft werden) gibt es einen wesentlichen Unterschied, was den Gebrauch von "Ich habe Schmerzen" und "Sie hat Schmerzen" betrifft. - Wie wir gesehen haben, macht es in beiden Fällen keinen Sinn, zu sagen, dass diese Sätze von Dingen handeln. Die Schmerzen eines anderen kann ich nicht wahrnehmen, und ebenso wenig kann ich meine eigenen wahrnehmen. Das Substantiv "Schmerz" täuscht das Vorhandensein eines beobachtbaren Gegenstandes nur vor.

Ich kann also den Gebrauch von "Schmerz" nicht durch Bezugnahme auf den gemeinten Gegenstand beschreiben, wie es im Falle von "Pickel" möglich ist: "Wir sagen, dass jemand Pickel hat, wenn er kleine eklige Punkte auf der Haut hat, die sich nicht abwaschen lassen, usw." In letzterem Fall spielt es keine Rolle, ob ich die Pickel habe oder jemand anders (ob Beispielsätze in der ersten oder einer anderen Person stehen) - die Beschreibung trifft in beiden Fällen zu.

Wenn es um "Schmerz" geht oder um andere Wörter, die sich tatsächlich auf Bewusstseinsinhalte beziehen - wir haben ja gesehen, dass das auf einige Ausdrücke, die man spontan dem Bereich zurechnen würde (wie "Meinen") bei näherer Betrachtung gar nicht zutrifft - basiert die Verwendung auf Verhaltenskriterien, solange es nicht um den Sprecher selbst geht. Die Beschreibung des Gebrauchs könnte in grober Annäherung wie folgt aussehen: "Wir sagen, dass jemand Schmerzen hat, wenn er durch Worte, Gesten usw. ein charakteristisches Benehmen zeigt und kein Grund besteht, eine Verstellung anzunehmen. Wir sagen es auch, wenn derjenige an einem solchen Verhalten gehindert wird, aber es produzieren würde, wenn die Hinderungsgründe nicht da wären."

Hier liegt ein bestimmter Irrtum nahe. Wenn es möglich ist, dass Menschen sich verstellen (ihr Schmerzverhalten unterdrücken), ist es dann nicht auch möglich, dass sich alle Menschen immer verstellen - und heisst das nicht, dass Verhaltenskriterien auf keinen Fall ausreichend sein können? - Dieser Einwand übersieht, dass es auch für das Vorliegen von "Verstellung" bestimmte äußere Kriterien gibt, die erfüllt sein müssen. Verstellung ist nicht beliebig möglich, und es gibt Musterfälle, in denen Verstellung ausgeschlossen ist (bei Tieren oder Kindern).

Ein weiterer Einwand könnte lauten, dass die Verwendung von Verhaltenskriterien doch nur eine Art Notbehelf sein könne, denn schließlich ist ja immer denkbar, dass jemand Schmerzen hat, ohne dass er sich so und so verhält (oder keine Schmerzen, obwohl er sich so und so verhält). Definitiv wissen kann ich das schließlich nie, und möglich ist es jedenfalls.

Wittgenstein würde hier wie folgt argumentieren: Wer so redet, hängt noch in der Vorstellung fest, dass Schmerzen eine Art Objekt seien. Und die einzige Art, mich definitiv von der Existenz eines Objektes zu überzeugen, ist die direkte Wahrnehmung. Letztere erscheint dann als die eigentliche Methode, um sicherzustellen, dass ein Anderer Schmerzen hat:

[PU 426] [...] In der wirklichen Verwendung der Ausdrücke machen wir gleichsam Umwege, gehen durch Nebengassen; während wir wohl die gerade breite Straße vor uns sehen, sie aber freilich nicht benutzen können, weil sie permanent gesperrt ist.

Der Punkt ist hier, dass die "breite Strasse", der Königsweg zum Bewusstsein eines Anderen, nicht etwa nur permanent gesperrt ist. Sie existiert gar nicht. Es gibt keine Möglichkeit, die Schmerzen eines Anderen zu haben, weil ich nur Schmerzen haben kann, die ich selbst fühle. Und die Schmerzen eines Anderen wahrnehmen könnte ich auch nicht - ich kann ja nicht mal meine eigenen wahrnehmen. Die "Nebengassen", der Weg über Verhaltenskriterien, ist also nicht der zweitbeste, sondern der einzige Weg.

Nehmen wir an, dass jemand im Wald (wo er keine Werkzeuge dabei hat) einen kleinen, verschlossenen Safe findet. Im Inneren des Safes befindet sich etwas - man merkt es an seinem Gewicht, und wenn er geschüttelt wird, hört man Geräusche. - In diesem Fall ist es korrekt zu sagen, dass alles, was ich über den Inhalt des Safes sagen kann (z. B. anhand der Geräusche) vorläufig ist und erst seine Öffnung durch geeignetes Werkzeug wirkliche Aufklärung bringen wird. Wesentlich ist hier, dass das Werkzeug existiert oder hergestellt werden kann (auch wenn ich gerade keins dabei habe). - Im Falle der "inneren Zustände" eines Anderen existiert jedoch kein solches Werkzeug, nicht aus praktischen, sondern aus logischen Gründen.

Es ist übrigens genau dieses Vorurteil, was dafür sorgt, dass das Zombie-Argument sinnvoll erscheint. Nur die Voraussetzung, dass es prinzipiell eine bessere Methode gibt, mich davon zu überzeugen, dass der Zombie keine Empfindungen hat, macht es logisch möglich, dass er keine Empfindungen hat, gleichgültig wie er sich verhält.

Ein bestimmtes Verhalten erzwingt die Annahme, dass ein Wesen Bewusstsein hat, so wie überhaupt Kriterien etwas erzwingen können. - Hier sollte man den Begriff des "Paradigmas" zu erwähnen: Wenn ein Wort einen Gebrauch hat - so Wittgenstein - gibt es Musterfälle (Paradigmen), in denen der Gebrauch des Wortes sozusagen per definitionem gerechtfertigt ist. Diese Musterfälle sind Teil der Bedeutung des Wortes und können daher nicht sinnvoll bezweifelt werden (wer es doch versucht, zeigt damit, dass er die Bedeutung des Wortes nicht kennt).

Die Ansicht, dass die Anwendung von Verhaltenskriterien nur die zweitbeste Lösung ist, läuft dann auf die Annahme hinaus, dass es ein Paradigma gibt, das ohne Verhaltenskriterien auskommt (also einen bekannten Fall, in dem wir Bewusstsein unterstellen, weil wir es "wahrnehmen"). Und dieses Paradigma scheint es ja auch zu geben - nämlich der Fall, in dem ich mir selbst unterstelle, dass ich Bewusstsein habe.

Wenn es aber gute Gründe für die Annahme gibt, dass das Verhältnis zu den eigenen Schmerzen kein Paradigma abgeben kann, müssen die Paradigmen solche des Verhaltens sein. Und es gibt solche Fälle - Fälle, in denen man nicht zweifeln kann, dass eine Person oder ein Wesen tatsächlich Schmerzen hat. Sie sind sogar ziemlich häufig, wie man sich leicht klarmachen kann, wenn man Wittgensteins Ratschlag befolgt:

[PU 303] [...] Versuch einmal - in einem wirklichen Fall - die Angst, die Schmerzen des Andern zu bezweifeln.

 Gebrauch in der 1. Person

Wenn der Gebrauch von "Schmerzen" an Verhaltenskriterien ausgerichtet ist, wenn es um andere Leute geht, wie sieht es denn bei mir selbst aus? Beobachte ich mein Verhalten und benutze es als Kriterium für meine Aussage "Ich habe Schmerzen"?

Natürlich ist das nicht der Fall. Aber wie ist meine Aussage dann zu rechtfertigen, d. h. woher kommt es, dass ich das Wort "Schmerz" in meinem eigenen Fall richtig verwenden kann und was ist der Unterschied, wenn ich es falsch verwende (d. h. wenn ich "Ich habe Schmerzen" sage ohne sie zu haben)? Der naheliegende Gedanke, dass ich halt einen "privilegierten Zugang" zu dem habe, was in mir abläuft, so dass mein Gebrauch dadurch gerechtfertigt ist, dass ich wahrnehme oder weiss, dass da in mir etwas geschieht - nach allem bereits Gesagten kann uns das nicht helfen. Es gibt keinen Gegenstand Schmerz, zu dem ich einen Zugang haben könnte.

Hier nimmt Wittgensteins Argumentation ihren Weg über die Frage, wie die Verwendung des Ausdrucks "Schmerz" im eigenen Fall gelernt wird (wir haben gesehen, dass das Erlernen nicht über das "private" Benennen einer Empfindung erfolgen kann):

[PU 244] Dies ist eine Möglichkeit: Es werden Worte mit dem ursprünglichen, natürlichen, Ausdruck der Empfindung verbunden und an dessen Stelle gesetzt. Ein Kind hat sich verletzt, es schreit; und nun sprechen ihm die Erwachsenen zu und bringen ihm Ausrufe und später Sätze bei. Sie lehren das Kind ein neues Schmerzbenehmen.

"So sagst du also, daß das Wort 'Schmerz' eigentlich das Schreien bedeute?" - Im Gegenteil; der Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und beschreibt es nicht.

Und so spielt das Verhalten auch bei der Verwendung in der 1. Person eine Rolle, allerdings in einer ganz anderen Weise als in der 3. Person: Die Äußerung "Ich habe Schmerzen" ist selber Teil des Verhaltens! (Und andere Leute können sie als Kriterium dafür benutzen, dass ich Schmerzen habe.) - Das beantwortet allerdings noch nicht die Frage nach der Rechtfertigung für den Gebrauch. - Wittgenstein:

[PU 289] "Wenn ich sage 'Ich habe Schmerzen', bin ich jedenfalls vor mir selbst gerechtfertigt." - Was heißt das? Heißt es: "Wenn ein Anderer wissen könnte, was ich 'Schmerzen' nenne, würde er zugeben, daß ich das Wort richtig verwende"?

Ein Wort ohne Rechtfertigung gebrauchen, heißt nicht, es zu Unrecht gebrauchen.

Im Zusammenhang mit dem Privatsprachenargument haben wir gesehen, dass eine Rechtfertigung eine unabhängige Instanz voraussetzt - wenn es diese Instanz aber gar nicht geben kann (ein Anderer könnte aus logischen Gründen ja nicht wissen, was ich 'Schmerzen' nenne), ist auch keine Rechtfertigung möglich. Also verwende ich das Wort "Schmerzen" in meinem eigenen Fall ohne Rechtfertigung.

(Man stelle sich folgendes vor: Ich bin allein in einem Raum und rufe einer Person ausserhalb des Raumes "Hier ist Schimmel an der Wand" zu. In diesem Fall würde es Sinn machen, zu sagen, dass meine Verwendung des Wortes "Schimmel" "vor mir selbst gerechtfertigt" ist - es hiesse dann soviel wie "Wenn die andere Person hereinkäme, würde sie bestätigen, dass es wie Schimmel aussieht". )

Obwohl es bei "Ich habe Schmerzen" keine Rechtfertigung gibt, kann ich den Satz richtig oder falsch ("zu Unrecht") verwenden - sonst würde er nicht zur Sprache gehören. Richtig verwende ich ihn, wenn ich ihn in Fällen verwende, in denen ich sonst Schmerzverhalten anderer Art zeigen würde, falsch verwende ich ihn, wenn das nicht der Fall ist. - Jemand, der "Ich habe Schmerzen" sagt, ohne welche zu haben, verhält sich wie ein Schauspieler, der einen Schrei imitiert: Der unechte Schmerzensschrei ist unecht, weil er nicht wirklich Ausdruck von Schmerzen ist, und nicht deshalb, weil er etwas beschreibt, was nicht wirklich existiert.

Hier liegt folgender Einwand nahe: Wenn ich den Unterschied zwischen dem echten und dem unechten Schmerzensschrei dadurch beschreibe, dass ich sage: der echte Schrei ist Ausdruck von Schmerzen, der unechte nicht - führe ich dadurch nicht einen Gegenstand "Schmerzen" sozusagen durch die Hintertür wieder ein?

Die Antwort darauf lautet: Wenn man den Begriff "Gegenstand" auf so vage Weise verwenden will, gibt es hier tatsächlich einen Gegenstand "Schmerzen", es ist aber nicht der "private Gegenstand" von dem die ganze Zeit die Rede war. Wir haben Paradigmen für echtes Schmerzverhalten, und diese Paradigmen sind die Basis für die Zuschreibung von Schmerzen, nicht etwa umgekehrt.


Zweiter Teil:  Fragen


 Gehirn und Verhalten

F.: Hier war immer nur von Verhalten die Rede. Aber ist es nicht so, dass die Naturwissenschaft sichergestellt hat, dass Schmerzen und andere Bewusstseinsinhalte Gehirnvorgänge sind?

A.: Wir haben ein Wort "Schmerzen", das auf bestimmte Weise verwendet wird. Und diese Verwendung ist nicht die einer Bezeichnung für Gehirnvorgänge. Das Wort war lange in Gebrauch, bevor man etwas über das Gehirn wusste.

F.: Das überzeugt mich nicht. Das Wort "Morgenstern" war lange in Gebrauch, bevor man wusste, dass der Morgenstern ein Planet ist. Trotzdem ist der Morgenstern ein Planet.

A.: "Morgenstern" war die Bezeichnung eines wahrnehmbaren Dings, und dass dieses Ding kein göttliches Leuchtwesen, sondern ein Planet in einer Umlaufbahn ist - also um welche Art Ding es sich handelt - konnte man herausfinden. - Aber "Schmerzen" ist - wie wir gesehen haben - nicht die Bezeichnung eines Dings. In dem Satz "Ich habe Schmerzen" ist es gar keine Bezeichnung, und in dem Satz "Er hat Schmerzen" könnte es bestenfalls die Bezeichnung einer bestimmten Verhaltensdisposition sein.

F.: Der Begriff einer Verhaltensdisposition setzt (wenn man nicht an mysteriöse "bare dispositions" glauben möchte) voraus, dass es so etwas wie einen Mechanismus gibt, der das Verhalten hervorruft. Kann man daher nicht sagen, dass "Schmerzen" in dem Satz "Er hat Schmerzen" auf diesen Mechanismus Bezug nimmt? Und ist dieser Mechanismus nicht eben das Gehirn?

A.: Wodurch aber ist der Mechanismus charakterisiert, der der Verhaltensdisposition entspricht? Doch nur dadurch, dass er genau dieses Verhalten hervorbringt. Wenn es Wesen geben würde, die das Verhalten zeigen, das Muster für echtes Schmerzverhalten ist, die aber kein Gehirn in unserem Sinne haben, oder ein Gehirn, das ganz anders funktioniert, müsste man dennoch sagen, dass sie "Schmerzen" haben. Daher kann "Schmerzen" in der 3. Person nicht die Bezeichnung für bestimmte Vorgänge im menschlichen Gehirn sein.

Nehmen wir die bekannte Disposition "Zerbrechlichkeit". Diese Disposition setzt eine bestimmte Struktur des Materials voraus, das zerbrechlich ist - sie legt aber nicht fest, worin diese Struktur genau bestehen muss (abgesehen davon, dass sie das Material zerbrechlich macht). Zwei Materialien (a und b) können zerbrechlich sein, aber völlig unterschiedliche Strukturen haben, die jeweils für die Zerbrechlichkeit verantwortlich sind. Es macht daher keinen Sinn, zu sagen, dass "Zerbrechlichkeit" die Bezeichnung für die besondere Struktur von a) oder von b) ist. - "Zerbrechlichkeit" ist überhaupt nicht die Bezeichnung für eine Struktur, sondern die Bezeichnung für eine Disposition (die allerdings ihrem Begriff nach voraussetzt, dass es eine Struktur gibt, die das Verhalten verursacht).

F.: Welchen Sinn hat dann die empirische Bewusstseinsforschung, die sich doch vorwiegend mit dem menschlichen Gehirn beschäftigt, wenn das menschliche Gehirn in Wahrheit gar keine Rolle spielt?

A.: Wer sagt denn so etwas? Das Gehirn spielt eine grosse Rolle, aber nicht in dem Sinne, dass Gehirnvorgänge Bewusstseinsvorgänge sind. Das menschliche Schmerzverhalten wird durch Gehirnvorgänge verursacht, und über diese Beziehung kann man natürlich Theorien bilden. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass diese Theorien z. B. auf schmerzempfindende Ausserirdische nicht anwendbar wären.

F.: Ist das nicht völlig falsch dargestellt? Soweit ich weiss, sucht die empirische Bewusstseinsforschung doch nach den neuronalen Korrelaten von Bewusstsein, und nicht nach den neuronalen Korrelaten von Verhaltensweisen.

A.: Man sucht nach den neuronalen Prozessen, die z. B. Schmerz "entsprechen". Aber die einzige Verbindung, die ein Wort wie "Schmerz" zur Wirklichkeit hat, liegt eben in den Verhaltensweisen, die unsere Kriterien sind, wenn wir jemandem Schmerzen zuschreiben. Ein Wissenschaftler, der über Schmerz forscht, benutzt diese Kriterien selbstverständlich, so wie jeder andere Mensch. Letztlich behandelt die Theorie dann eben doch die Verbindung zwischen Gehirn und Verhalten. Man bringt allerdings nicht einzelne Verhaltensweisen (wie z. B. Stöhnen) in Verbindung mit Gehirnprozessen, sondern die ganze komplexe Menge von sprachlichen und nicht-sprachlichen Verhaltensdispositionen, die gegeben sein müssen, damit jemand z. B. Schmerzen hat.

F.: Wie es scheint, verfährt die naturwissenschaftliche Bewusstseinsforschung also ziemlich unreflektiert, was einen wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit angeht ...

A.: Sie kann vielleicht gar nicht anders verfahren. Schmerzen sind ein Begriff, mit dem wir umgehen können, auch ohne dass wir genau beschreiben können, wie er verwendet wird. Eine genaue Beschreibung müsste die Verhaltenskriterien auflisten, die erfüllt sein müssen, damit wir gerechtfertigt sagen können, dass jemand Schmerzen hat. Diese Kriterien stellen sich aber als ausserordentlich unübersichtlich heraus (sie umfassen nicht nur das gegenwärtige, sondern auch das vergangene Verhalten des Betreffenden, sie umfassen sprachliche und nicht-sprachliche Verhaltensweisen).

Vielleicht ist es daher besser, dass der Forscher sich nicht auf eine Analyse dieser Kriterien einlässt, sondern einfach ihrer instinktiven Anwendung vertraut, wenn er z. B. einer Versuchsperson unterstellt, dass sie während eines Experimentes Schmerzen hat. Als Forschungsprogramm für die naturwissenschaftliche Bewusstseinsforschung ist der Behaviorismus nicht ohne weiteres brauchbar - jedoch stellt das seine grundsätzliche Richtigkeit nicht in Frage.

 Behaviorismus

F.: Wittgensteins Theorie lässt sich offenbar unter die behavioristischen Theorien einordnen. Und ein beliebter Vorwurf gegen den Behaviorismus ist, dass er Bewusstsein letztendlich vollständig leugnet, und somit alle Menschen zu "philosophischen Zombies" erklärt ...

A.: Wittgenstein hat sich selbst zu diesem Vorwurf geäußert:

[PU 304] "Aber du wirst doch zugeben, daß ein Unterschied ist, zwischen Schmerzbenehmen mit Schmerzen und Schmerzbenehmen ohne Schmerzen." - Zugeben? Welcher Unterschied könnte größer sein! - "Und doch gelangst du immer wieder zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts." - Nicht doch. Sie ist kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts! Das Ergebnis war nur, daß ein Nichts die gleichen Dienste täte wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen läßt. [...]

F.: Das klingt für mich etwas kryptisch. "Sie ist kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts"?

A.: Man muss das wie folgt verstehen: Die Empfindung ist kein irgendwie wahrnehmbarer Gegenstand, wie uns von dem Umstand weisgemacht wird, dass der Satz "Ich habe Schmerzen" genauso aussieht wie der Satz "Ich habe Pickel". Das heisst jedoch nicht, dass der Satz "Ich habe Schmerzen" in jedem Fall falsch sein muss (weil er ja die Existenz eines Gegenstandes behauptet, der gar nicht existiert).

Es besteht hier eine gewisse Analogie zum Problem der Zahlen. Plato hatte bekanntlich behauptet, dass Zahlen eine reale Existenz hätten. Wenn nun jemand leugnet, dass das der Fall ist, heisst das, er leugnet, dass es eine ganze Zahl gibt, die größer ist als 3 und kleiner als 5? - Natürlich nicht. Er leugnet nur, dass das "es gibt" in diesem Satz in demselben Sinne zu verstehen ist, wie das "es gibt" in "Es gibt Löwen in Afrika". - Man könnte also auch über die Zahl 4 sagen, dass sie kein Etwas, aber auch kein Nichts ist.

Und so leugnet Wittgenstein nicht, dass derjenige, der sagt "Ich habe Schmerzen" Schmerzen hat. Er leugnet nur, dass der Satz die Existenz eines Gegenstandes behauptet.

F.: Ja, aber was behauptet der Satz denn dann?

A.: Er behauptet natürlich, dass ich Schmerzen habe. - Das Kriterium für die Wahrheit des Satzes besteht aber nicht darin, dass ein bestimmter wahrnehmbarer Gegenstand existiert, wie im Falle des Satzes "Ich habe Pickel". Sondern der Satz ist wahr, wenn er z. B. an der Stelle geäußert wird, an der sonst ein Schmerzensschrei geäußert würde. Wittgenstein drückt diese Besonderheit dadurch aus, dass er sagt, dass der Satz keine Beschreibung ist.

F.: Das Beispiel mit den Zahlen erscheint mir jetzt irreführend. Der Satz "Es gibt eine ganze Zahl usw." wird - wenn ich mich richtig erinnere - von Nichtplatonikern als verkürzte Tautologie interpretiert. Und als solche hat er keinen Bezug zur Wirklichkeit. Jedoch Sätze, die behaupten, dass jemand Schmerzen hat, haben einen solchen Bezug. Und läuft das dann nicht darauf hinaus, dass es so etwas wie Schmerzen tatsächlich gibt - in dem Sinne, in dem es Löwen in Afrika gibt?

A.: Was es gibt, sind bestimmte Verhaltensdispositionen und der dahinter stehende Mechanismus, das Gehirn. - Die Schwierigkeit besteht darin, zu akzeptieren, dass das ausreicht.

F.: In der Tat. Ich habe starke Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass es nichts weiter als erfüllte Verhaltenskriterien gibt, wenn ich wirklich Magenkrämpfe habe. Es muss da mehr in mir geben als nur eine "bildliche Darstellung unsrer Grammatik" (PU 295). Etwas, das sozusagen mein Bewusstsein füllt, so dass ich kaum an etwas anderes denken kann, als eben an die Schmerzen.

A.: Wir hatten es bereits gesagt: Wenn jemand Magenkrämpfe hat und sagt, dass er Magenkrämpfe hat, dann verwendet er die Worte ohne eine Rechtfertigung. Er macht nicht eine bestimmte Beobachtung und erzählt uns von dem, was er sieht, so dass die Beobachtung als Rechtfertigung dienen kann. Er benutzt keine Kriterien, um festzustellen, dass er Schmerzen hat und daher sagen kann, dass er welche hat. Er hat die Disposition zu einem bestimmten Verhalten, und zu diesem Verhalten gehört auch das Äußern solcher Sätze.

F.: Meine Magenkrämpfe kommen - sagen wir - um 12 Uhr, und eine Stunde später verschwinden sie plötzlich wieder. Ich bleibe dabei - während dieser einen Stunde ist etwas da, was vorher und nachher nicht da ist, völlig gleichgültig, ob ich jemandem davon erzähle oder mir nichts anmerken lasse.

A.: Das bestreite ich ja nicht. - Nehmen wir an, dass Diamanten unter 0 Grad Celsius ihre Struktur ändern und so zerbrechlich werden wie Glas, wohingegen die alte Struktur zurückkehrt, sobald die Temperatur 0 Grad wieder übersteigt. Man kann also einen Diamanten nehmen, und ihn eine Stunde in die Tiefkühltruhe legen. Während dieser Zeit ist der Diamant zerbrechlich, vorher und nachher nicht. Und das ist auch dann der Fall, wenn der Diamant in dieser Zeit nicht zerbricht.

F.: Sie haben mich nicht verstanden. Eine Disposition - das ist einfach viel zu "schwach" für das, was ich habe, wenn ich Magenkrämpfe habe. Ich erlebe dabei etwas sehr Starkes.

A.: Sie unterliegen immer noch der Illusion, dass sie etwas wahrnehmen, während sie Schmerzen haben. Sozusagen - poetisch gesprochen - ein grosses, massives, hässlich rostrotes Ding, das vor Ihnen auf der Strasse steht, und von dem es absurd wäre, zu behaupten, dass es nur ein Blendungsphänomen Ihrer Augen ist.

Und Sie haben den Eindruck, dass man zwangsläufig bestreitet, dass jemand Magenschmerzen haben kann, wenn man leugnet, dass die Magenschmerzen ein Gegenstand sind, der wahrgenommen oder gewusst wird und so denken Sie, dass ich Ihre Schmerzen sozusagen wegdiskutieren will. Das will ich aber genausowenig, wie ein Logiker die Zahl 5 wegdiskutieren will, wenn er ihre Existenz im "Platonischen Himmel" leugnet.

Eine starke Intuition, dass etwas der Fall ist (wie Ihre Intuition, dass Sie einen privaten Gegenstand wahrnehmen, wenn Sie Schmerzen haben), kann ein Indiz dafür sein, dass es tatsächlich der Fall ist, aber nur so lange, wie die von der Intuition erzwungene Annahme nicht widersprüchlich oder sinnlos ist. Anderenfalls ist die Intuition eben wertlos.

F.: Ein anderer Punkt: Ich kann meine Schmerzen beschreiben, ich kann z. B. sagen "sie sind im Oberbauch und stechend". Und das scheint doch etwas ganz Ähnliches zu sein, als würde ich über Ihr "grosses, rostrotes Ding" sagen, dass es zehn Meter von mir entfernt steht und scharfe Kanten hat. Mein Schmerz hat bestimmte Eigenschaften - ganz wie ein Ding.

A.: Zu der Disposition, die Ihrem Schmerz entspricht, gehört auch die Bereitschaft, auf die Frage "Wie ist der Schmerz?" mit "stechend" zu antworten. "Eigenschaften des Schmerzes" - das ist nicht dasselbe, wie Eigenschaften eines Dings. Sie können das grosse, rote Ding z. B. zuerst wahrnehmen, ohne zu merken, dass es scharfe Kanten hat. Das können sie auch eine Stunde später herausfinden, indem sie dann zu dem Ding hingehen und es betasten. Aber sie können nicht eine Stunde lang Schmerzen haben und dann durch nähere Untersuchung herausfinden, dass sie stechend und im Oberbauch sind.

F.: Ich kann aber doch z. B. nach einer Stunde herausfinden, dass meine Kopfschmerzen Spannungskopfschmerzen sind, indem ich nämlich im Internet nachlese, was man unter "Spannungskopfschmerzen" versteht.

A.:In diesem Fall ermitteln Sie, dass der Schmerz von Leuten, die ihren Schmerz mit ähnlichen Worten ausdrücken, wie Sie es zu tun geneigt sind, "Spannungskopfschmerz" genannt wird. Sie finden also keine neue Eigenschaft Ihres Schmerzes, sondern nur einen anderen Ausdruck dafür.

Alle "Eigenschaften" Ihres Schmerzes sind Ihnen "unmittelbar gegeben", so wie der Umstand, dass Sie überhaupt Schmerzen haben. Und das heisst, es hat genausowenig Sinn zu sagen, dass Sie wissen oder wahrnehmen, dass Ihre Schmerzen stechend sind, wie es Sinn hat, zu sagen, dass Sie Ihre Schmerzen überhaupt wahrnehmen oder wissen, dass Sie sie haben.

F.: Aber jedenfalls kann ich durch das Medium meines Schmerzes etwas anderes wahrnehmen ... z. B. meinen Bauch.

A.: Ja, oder das Messer darin - aber mit diesen Wahrnehmungen können Sie natürlich auch danebenliegen. Der scheinbare Bauchschmerz kann einen Herzinfarkt andeuten, und das Messer könnte eine Gabel sein ...

 Superspartaner

F.: Hilary Putnam hat gegen den Behaviorismus argumentiert, indem er auf die Möglichkeit einer Gesellschaft verwies, in der alles nicht-sprachliche und sprachliche Schmerzverhalten unterdrückt wird - ohne dass das dazu führt, dass die Menschen in dieser Gesellschaft (die "Superspartaner" oder eigentlich "Supersuperspartaner") aufhören, Schmerzen zu haben. - Widerlegt das nicht Wittgensteins Auffassung, dass die einzigen Kriterien für das Vorliegen von Schmerzen solche des Verhaltens sind?

A.: Man kann einen Menschen, der Schmerzen hat, so fesseln und knebeln, dass er kein Schmerzverhalten mehr zeigen kann. Heisst das, dass es hier keine Disposition zu Schmerzverhalten mehr gibt? Nein. Die Disposition zu Schmerzverhalten, die dieser arme Mensch hat, impliziert z. B.: Wenn man seinen Knebel entfernen würde, würde er schreien.

F.: Es kann jeder wissen, inwiefern der Gefesselte an Schmerzäußerungen gehindert ist. In Putnams Gedankenexperiment könnte man das nicht wissen - man hätte halt einen Haufen Leute, die sich so benehmen, als hätten sie keine Schmerzen, die aber dennoch welche haben.

A.: Der Fehler in Putnams Argumentation ist, dass er eine Geschichte erzählt und dadurch kann man es doch wissen. Ursprünglich gab es keine Superspartaner, sie wurden durch Training dazu gemacht. Es gab Schmerzäußerungen, die dann unterdrückt wurden. Erst durch diese Geschichte wird es plausibel, dass die Superspartaner Schmerzen haben, auch wenn sie keine äußern. - Nehmen wir aber an, dass es keine solche Geschichte gibt: Wir finden irgendwo menschenähnliche Wesen, die kein Schmerzverhalten zeigen. Gibt es irgendeinen Grund, Ihnen dennoch Schmerzen zu unterstellen?

F.: Sie könnten z. B. ein Gehirn haben, das unserem sehr ähnlich ist. In unserem Gehirn "feuern die C-Fasern", wenn wir Schmerzen haben. Bei diesen Wesen stellt man nun fest, dass die C-Fasern gelegentlich feuern, obwohl sie nie Schmerzverhalten zeigen.

A.: Dann müsste man daraus schließen, dass das Feuern der C-Fasern bei diesen Wesen nicht von Schmerzen begleitet wird. Denn woraus schließen wir denn, dass die C-Fasern bei uns etwas mit Schmerzen zu tun haben? Doch daraus, dass Leute, deren C-Fasern feuern, ihre Schmerzen auf die eine oder andere Art äußern. Und da die fremden Wesen keine Schmerzen äußern, kann ich in ihrem Fall nicht denselben Schluss ziehen wie bei uns.

Ich könnte z. B. einen völlig bewegungs- und reaktionslosen Menschen finden, und aus dieser Bewegungslosigkeit schließen, dass ich es mit einer bewusstlosen Person zu tun habe. Aber dieser Schluss vom fehlenden Verhalten auf das fehlende Bewusstsein wird ungültig, wenn ich darüber informiert werde, dass der Betreffende bei vollem Bewußtsein eine Curare-Spritze erhalten hat (Curare lähmt die Muskulatur, ohne bewusstlos zu machen). Ich habe in diesem Fall eine Geschichte gehört, die mir erklärt, warum die Disposition nicht zur Auswirkung kommt und kann daher nicht folgern, dass die Disposition nicht mehr da ist.

Glas ist zerbrechlich, und das heißt unter anderem dass ich es mit einem Hammer zertrümmern kann. Nehmen wir nun an, ich finde eine Glasscheibe, die sich nicht zertrümmern lässt - so gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: dass es sich nicht um Glas handelt, sondern um ein unzerbrechliches Material oder dass es einen unbekannten Faktor gibt, der die Glasscheibe schützt (z. B. ein "Kraftfeld" wie in Startreck) - und in diesem Fall ist sie zerbrechlich.

F.: Sie würden also sagen, dass die Superspartaner nur vor dem Hintergrund von Putnams Geschichte denkbar sind, und dass ihre Denkbarkeit in diesem Fall den Behaviorismus nicht widerlegt.

 Verstellung

F.: Unsere Diskussion über Putnams Superspartaner weist für mich auf ein Problem hin, was die Möglichkeit von Verstellung oder Unterdrückung angeht: Verstellung ist nämlich nicht mit Fesseln und Knebeln oder einem anderen "Aussenfaktor" vergleichbar. Verstellung spielt sich "im" bewußten Menschen ab. Wenn Sie nun sagen, dass auch der Superspartaner noch eine Disposition für Schmerzverhalten hat, verlangen Sie damit nicht etwas Absurdes, nämlich dass wir eine Glasscheibe auch in einem Fall zerbrechlich nennen sollen, in dem sie aus Gründen ihrer inneren Struktur unzerbrechlich ist?

A.: Dass jemand sich verstellt, heisst nicht einfach, dass er zwar Schmerzen, aber ohne äußere Hinderungsgründe kein Schmerzverhalten hat. Verstellung heisst, dass jemand sein Schmerzverhalten unterdrückt, und dafür gibt es ebenfalls Paradigmen.

F.: Wie könnte denn so ein Paradigma aussehen?

A.: Nun, zum Beispiel wie folgt: Jemand behauptet, sein Bein tue ihm gar nicht mehr weh, zuckt jedoch zurück, sobald jemand die Hand ausstreckt, als wolle er das Bein berühren, hat ausserdem Schweiss auf der Stirn und beisst die Zähne zusammen und stöhnt, sobald er meint, dass es keiner sieht oder hört.

F.: Das Beispiel läuft darauf hinaus, das jemand nur sein sprachliches Schmerzverhalten unterdrückt, aber weiterhin nicht-sprachliches Schmerzverhalten zeigt. Ausserdem zeigt er, wenn er die Zähne zusammenbeisst, ein Verhalten das für Leute charakteristisch ist, die sich sehr anstrengen. Ein Paradigma für die Unterdrückung beider Arten von Schmerzverhalten sowie auch der verräterischen Zeichen für Anstrengung würde mich mehr überzeugen. Denn auch dieser Fall kommt ja vor, oder?

A.: Sie stellen sich also vor, dass der Mann mit dem schmerzenden Bein nicht nur über seinen Zustand lügt, sondern auch sein Stöhnen und Zähnezusammenbeissen sowie sein Zurückzucken vollständig unterdrückt.

F.: Warum nicht? Und was für ein Paradigma für eine vollständige Unterdrückung dieser Art könnte es denn geben?

A.: Natürlich kann jedes Verhalten grundsätzlich unterdrückt werden. Das funktioniert aber nicht für beliebig lange Zeit. Es ist denkbar, dass der Mann mit dem schmerzenden Bein sich für eine Stunde so verhält, aber nicht, dass er die Verstellung über Monate aufrecht erhält. Wenn wir sagen, dass eine Zuschreibung von Verhaltenskriterien abhängt, kann damit durchaus das Verhalten über einen längeren Zeitraum gemeint sein. Wenn also jemand alle Schmerzanzeichen zeigt, damit aber plötzlich aufhört, wenn eine bestimmte Person den Raum betritt, dann spricht das dafür, dass er sich verstellt um diese Person zu täuschen.

F.: Nun, im Falle der Superspartaner haben wir uns ja vorgestellt, dass die Verstellung sehr lange anhält.

A.: Auch hier gibt es ein Verhalten, das für Verstellung spricht, denn wir wissen, dass in der Kindheit dieser Wesen ein Training stattgefunden hat. Ohne dieses Wissen hätten wir keinen Grund mehr für die Annahme, dass sich die Superspartaner verstellen.

F.: Gut, meinetwegen gibt es Verhaltenskriterien und Paradigmen für Verstellung. Mein Einwand bleibt aber bestehen: Kann man sagen, dass jemand eine Disposition für Schmerzverhalten hat, wenn er aus inneren Gründen kein Schmerzverhalten zeigt? Und kann es dann noch Sinn machen, Schmerzen als Verhaltensdisposition zu betrachten? - Dasselbe gilt übrigens auch für "Wissen", wenn Sie es dispositional erklären. Ich lerne heimlich Schillers Glocke auswendig und habe vorher beschlossen, niemandem zu erzählen, dass ich dieses Gedicht auswendig kann, niemals daraus zu zitieren usw. - Mein Entschluss sorgt dafür, dass ich genau die Verhaltensdisposition habe, die dem Nicht-Auswendig-Wissen von Schillers Glocke entspricht. Trotzdem weiss ich sie aber auswendig.

A.: Die Disposition, die Ihrem Auswendig-Wissen entspricht, könnte man vielleicht - in erster Annäherung und unvollständig - so beschreiben: Sie würden Schillers Glocke aufsagen, wenn Sie jemand dazu auffordert, unter der Voraussetzung, dass Sie sich nicht dafür entschieden haben, es nicht zu tun. "Sich dafür entschieden haben, Schillers Glocke nicht aufzusagen" ist natürlich wiederum ein Ausdruck, dem eine Disposition entspricht, die man noch beschreiben müsste. - Die Dispositionen, auf die man also stößt, wenn man den Gebrauch scheinbar einfacher mentaler Zuschreibungen (wie "Er weiss Schillers Glocke auswendig" oder "Er hat Schmerzen im Bein") analysiert, sind ausserordentlich komplex.

Der wesentliche Punkt scheint mir zu sein, dass aus der Tatsache, dass wir Verhaltenskriterien benutzen, wenn wir jemandem Schmerzen unterstellen, notwendig folgt, dass es eine Verhaltensdisposition gibt, die "Schmerzen haben" entspricht. Um das zu wissen, muss ich die Disposition nicht beschreiben können.

 Schmerzen als Beispiel

F.: Es hiess, dass Schmerzen ein geeignetes Beispiel für Bewusstseinsvorgänge im eigentlichen Sinne sind, weil sie mit überschaubaren äußeren Anzeichen verbunden sind. Schränkt aber nicht gerade das ihre Verallgemeinerungsfähigkeit ein?

A.: Es gibt noch einen weiteren Grund für die Verwendung von Schmerzen als Standardbeispiel, den ich kurz erwähnen möchte: Man kann dafür argumentieren, dass der Begriff der "Empfindung" im Falle von Wahrnehmungen ein künstlicher Begriff ist. Ich nehme manchmal rote Gegenstände wahr und manchmal scheine ich sie nur wahrzunehmen (wenn ich z. B. halluziniere). Wenn ich mich so ausdrücke, komme ich ohne einen zusätzlichen Begriff "Rotempfindung" aus.

Diese Eliminierung des Empfindungsbegriffs funktioniert jedoch nicht, wenn es um Schmerzen geht. Schmerzen sind nicht in erster Linie durch Wahrnehmung definierbar. Wenn ich einen Finger auf den heissen Ofen presse - nehme ich durch meinen Schmerz den Ofen oder meinen Finger wahr? Beide Ausdrucksweisen wären möglich. Aufgrund dieser Uneindeutigkeit kann ich den Begriff der Empfindung hier nicht einfach durch Wahrnehmungsbegriffe ersetzen.

F.: Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Es mag plausibel erscheinen, dass die Äußerung "Ich habe Schmerzen" einen Schrei ersetzt, aber an Stelle welcher natürlichen Äußerung steht der Ausspruch "Ich stelle mir gerade den Grundriss des Ganzen vor"?

A.: Die Schmerzen haben noch einen anderen Vorteil - man kann dispositionale Verwendungen des Wortes "Schmerz" von der Verwendung als "Bewusstseinswort" leicht unterscheiden. Gerade bei Vorstellungen bereitet diese Unterscheidung Schwierigkeiten. - Ich kann z. B. sagen "Ich habe eine genaue Vorstellung von Einsteins Relativitätstheorie". Das wäre eine dispositionale Verwendung, da die Äußerung durch "Ich bin in der Lage, dir Einsteins Relativitätstheorie zu erklären" ersetzt werden könnte. Dann wiederum gibt es eindeutig nicht-dispositionale Verwendungen wie "Ich stelle mir jetzt eine Rose vor". - Ihr Beispiel "Ich stelle mir gerade den Grundriss des Ganzen vor" scheint irgendwo dazwischen zu liegen.

F.: Gut, dann bleiben wir bei der Rose. Ich stelle mir eine Rose vor oder anders ausgedrückt: Ich habe das Vorstellungsbild einer Rose. - Was wären die äußeren Kriterien dafür, dass ich mir tatsächlich eine Rose vorstelle? Jetzt werden Sie natürlich antworten: "ihre Äußerung, dass sie es tun", aber das reicht nicht aus. Damit das anhand der Schmerzen entworfene Modell hier funktionieren kann, muss es einen natürlichen, nicht-sprachlichen Ausdruck dafür geben, dass ich mir eine Rose vorstelle. Und ein solcher Ausdruck ist mir nicht bekannt.

A.: Sie meinen ungefähr das: Wenn der Satz "Ich habe die Vorstellung einer Rose" so ähnlich funktionieren würde wie der Satz "Ich habe Schmerzen" dann müsste es so etwas geben wie z. B. einen angeborenen Laut, den Kinder ausstossen - meinetwegen "Rrrrrrrr" - wenn sie sich gerade eine Rose vorstellen. Wenn das geschieht, sagen die Eltern dann: "Man macht nicht 'rrrrrr', man sagt 'ich stelle mir eine Rose vor'!", so dass das Kind daran gewöhnt wird, den Laut durch die Sprachäußerung zu ersetzen. - Das ist natürlich absurd.

Eine wahrscheinlichere Geschichte wäre diese: Das Kind malt eine Blume, die Mutter fragt: "Was ist das für eine Blume?" und das Kind sagt "eine Rose". Darauf erwidert die Mutter: "So stellst Du Dir also eine Rose vor?".

F.: Das scheint mir eine dispositionale Verwendung zu sein ("Das ist also deine Vorstellung von einer Rose"). Wie lernt das Kind aber die nicht-dispositionale?

A.: Nun gut, eine andere Geschichte: Das Kind zittert, zeigt in die Zimmerecke und sagt: "Mutter da ist ein Monster." Darauf sagt die Mutter: "Nein, da ist nichts. Du stellst Dir das nur vor."

 Unbewusste Schmerzen

F.: Wittgenstein geht von der alten Vorstellung aus, dass "unbewusste Empfindungen" eine Kontradiktion sind. Nun hat die empirische Wissenschaft in den letzten 100 Jahren aber einige Fortschritte gemacht. Sigmund Freud hat schon vor Wittgensteins Zeit entdeckt, dass wir Wünsche und Vorstellungen haben, die uns nicht bewusst sind. Und in ganz ähnlicher Weise hat sich herausgestellt, dass Schmerzreize nicht immer über die Schwelle des Bewusstseins dringen, obwohl sie dennoch vorhanden sind - wie uns die Neurophysiologie zeigt.

Bricht vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse nicht die ganze Argumentation Wittgensteins und Ryles zusammen? Ist es nicht doch so, dass wir unsere "inneren Zustände" wahrnehmen und heisst das nicht, dass es die inneren Objekte wirklich gibt?

A.: Vor Sigmund Freud hätte es wohl jeder für selbstverständlich gehalten, dass die Wünsche eines Menschen diesem auch bewusst sind. - Aber was hat Sigmund Freud wirklich entdeckt? Er wurde darauf aufmerksam, dass Menschen sich manchmal so verhalten, als hätten sie bestimmte Wünsche, obwohl sie keine solchen Wünsche haben und er hielt es für sinnvoll, in solchen Fällen von "unbewussten Wünschen" zu sprechen. - Das ist aber nicht gleichbedeutend mit der "Entdeckung" unbewusster Wünsche, sondern mit der Einführung eines neuen Begriffs "Wunsch", der die von Freud entdeckten unbewussten Verhaltensdispositionen mitumfasst.

Der neue Begriff ist dann in einem gewissen Masse in den Alltagssprachgebrauch übergegangen - so ähnlich wie der über veränderte physiologische Kriterien umdefinierte Begriff "Fisch" unterdessen den alten Begriff "Fisch", der z. B. Delphine mitumfasste, verdrängt hat. (So dass es falsch wäre, zu sagen, dass die Wissenschaft "entdeckt" hat, dass Delphine keine Fische sind.)

F.: Gut, im Falle der "unbewussten Wünsche" mag das eine zutreffende Beschreibung sein. Bei "unbewussten Schmerzen" scheint jedoch die Sachlage eine andere zu sein: Denn ist es nicht schon immer üblicher Sprachgebrauch gewesen, zu sagen, dass man z. B. seine Schmerzen nicht spürt, solange man durch bestimmte Faktoren abgelenkt wird, ohne dass die Schmerzen deshalb nicht mehr da wären?

Ich weiss, jetzt werden Sie mir wieder mit "dispositionalem Gebrauch" kommen und auf das Beispiel "Meine Bauchschmerzen sind noch nicht weg, denn ich hatte gestern wieder Schmerzen" verweisen. Der Fall der Ablenkung von Schmerzen liegt aber anders: So zeigt z. B. derjenige, der von seinen akuten Schmerzen nur abgelenkt wird, immer noch ein gewisses Schmerzverhalten, auch wenn er seine Schmerzen im Augenblick nicht fühlt. Ausserdem sind die neurologischen Begleiterscheinungen von Schmerz noch nachweisbar.

A.: Und daraus würden Sie vermutlich schliessen wollen, dass der Schmerz eigentlich mit den neurologischen Begleiterscheinungen identisch ist, die der Betreffende wahrnimmt, solange er nicht abgelenkt ist. - Aber denken Sie an folgendes: Solange der Betreffende nicht abgelenkt ist, hat es keinen Sinn zu sagen, dass er sich mit seiner Wahrnehmung vielleicht täuscht - und genau das müsste möglich sein, wenn wir es hier tatsächlich mit einer Wahrnehmung zu tun hätten. Es müsste also denkbar sein, dass der Betreffende etwas anderes wahrnimmt, und fälschlicherweise glaubt, dass es sich um Schmerzen handelt - doch das ist nicht nur faktisch ausgeschlossen, sondern der Satz "Er glaubt fälschlicherweise dass er Schmerzen hat" ist sinnlos (solange er nicht verwendet wird, um auf mangelhafte Sprachkenntnisse hinzuweisen).

Wenn es aber falsch ist, zu sagen, dass jemand seine Schmerzen wahrnimmt, ist es auch falsch zu sagen, dass er sie in einem bestimmten Moment nicht wahrnimmt. Ich denke daher, dass man auch diese Fälle unter "dispositionalen Gebrauch" einordnen muss. Und es ist ja auch ohne weiteres möglich, anstelle des Satzes "Solange ich den spannenden Film sah, spürte ich meine Schmerzen nicht" den Satz "Solange ich den spannenden Film sah, hatte ich keine Schmerzen" zu äussern.

 Thomas Nagel

F.: Es gibt einen berühmten Aufsatz von Thomas Nagel - "What it's Like to Be a Bat". Wie ich hörte, hat dieser Aufsatz wesentlich dazu beigetragen, behavioristische Positionen wie die von Wittgenstein vertretene zu diskreditieren. - Nagel bestreitet, dass reduktionistische Theorien in der Lage sind, den Aspekt des Bewusstseins zu integrieren, den Nagel als das "what it's like" bezeichnet. Die Subjektivität des Bewusstseins macht es unmöglich, es in eine objektive Theorie zu integrieren, da eine solche Theorie möglichst standpunktunabhängig sein muss, während das "what it's like" notwendig an einen bestimmten "point of view" gebunden ist. - Und Wittgensteins Theorie würde Nagel zweifellos unter die reduktionistischen Theorien rechnen, wenn sie z. B. Schmerzen als Verhaltensdisposition erklärt.

A.: Zunächst einmal kann man nicht sagen, dass Wittgenstein Schmerzen als Verhaltensdisposition erklärt. Unser Wort "Schmerzen" (wenn es für einen Bewusstseinsinhalt steht, siehe oben) funktioniert nicht wie die Bezeichnung für eine Disposition. Schmerzen können nicht auf diese Weise reduziert werden, weil die Verwendung des Wortes in der 1. und der 3. Person unterschiedlich ist. Lediglich die Verwendung in der 3. Person könnte man in Annäherung so beschreiben. (Er hat Schmerzen = Er hat die Disposition zu Schmerzverhalten.) Aber wenn jemand "ich habe Schmerzen" sagt, behauptet er nicht, dass er eine Verhaltensdisposition hat. Anderenfalls müsste es möglich sein, diese Aussage durch Beobachtungen zu rechtfertigen. Aus diesem Grunde ist der Satz "Schmerzen sind nichts anderes als Verhaltensdispositionen" definitiv falsch.

F.: Gut, aber diese Feinheiten sind hier nicht so sehr von Bedeutung. Was spricht gegen Nagels Argumentation?

A.: Zunächst einmal, dass nicht klar ist, wofür er überhaupt argumentiert. Einerseits gibt er ausführliche Gründe für die Annahme, dass der subjektive Aspekt niemals in die objektive Wissenschaft integriert werden kann. Andererseits ist er dann doch der Auffassung, dass eine solche Integration vielleicht möglich ist, beschränkt sich aber auf dunkle Andeutungen über "strukturelle Eigenschaften" von Erfahrungen, die objektiv erfassbar sein könnten.

Vielleicht hatte Nagel im Hinterkopf, dass ein grundsätzlich nicht verobjektivierbares "what-it's-like" letztendlich auf ein "privates Objekt" mit all seinen Problemen hinausläuft.

F.: Ja, aber die Frage, was wir von den Empfindungen von Wesen zu halten haben, die andere Wahrnehmungsbereiche als wir selbst haben, deutet jedenfalls auf ein ungelöstes Problem.

A.: Tut sie das? So, wie die Wahrheit der Aussage "Die Fledermaus hat eine Rotempfindung" von äußeren Kriterien abhängt, eben auch die Wahrheit der Aussage "Die Fledermaus hat eine Sonarempfindung". Und ein privates Objekt "Sonarempfindung" gibt es genauso wenig wie ein privates Objekt "Rotempfindung".

Nagel unterstellt, dass es ein "wie-es-ist-Rot-zu-empfinden" gibt, und dass ein Blindgeborener dieses "wie-es-ist" natürlich nicht hat und daher nicht absehbar ist, wie er zu einem Begriff davon kommen sollte. - Aber, wie bereits gesagt, der Normalsichtige hat kein "wie-es-ist-Rot-zu-empfinden". Er hat Rotempfindungen und der Blinde hat keine, und mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. - Nehmen wir an, dass ein Blinder dich fragt: "Wie ist es für dich, Rot zu empfinden?" - Man könnte ihm doch nur so etwas antworten wie "Es ermöglicht mir, bestimmte Dinge von anderen zu unterscheiden, was du nicht kannst." Oder wollen Sie ihm etwa sagen: "Es ist toll, doch leider wirst du nie wissen, wie toll es ist."?

F.: Aber man stelle sich vor, es gäbe Menschen, die wie Bienen eine zusätzliche Farbe (Farbe "U") wahrnehmen, z. B. einen bestimmten Wellenbereich des Ultravioletten. - Ich kann wissen, dass sie diese Farbe wahrnehmen, weil sie eine Bezeichnung dafür haben und z. B. Dinge farblich unterscheiden können, die für mich gleich aussehen. In diesem Fall würde ich doch auch gerne wissen, wie es ist, die Farbe "U" zu sehen und würde bedauern, dass ich es nicht weiss. Ich würde halt wissen wollen, wie diese Farbe für die Betreffenden aussieht.

A.: Wie sieht denn "Grün" für Sie aus? Darauf könnten Sie antworten: Es sieht anders aus als z. B. Rot, aber das ist natürlich nicht, was Sie meinen, denn genau das wissen Sie über die Farbe "U" ja auch.

F.: Aber ich weiss doch auch, inwiefern Grün anders aussieht als Rot. Grün hat für mich etwas, was keine andere Farbe hat.

A.: Sie wollen darauf hinaus, dass Grün auf eine andere Art anders als Rot aussieht, als z. B. Blau anders als Rot aussieht?

F.: Ja, genau, das ist es.

A.: Ich denke, dass Ihnen das nicht weiterhilft, denn damit meinen Sie doch einfach nur, dass Grün anders aussieht als Rot, und anders aussieht als Blau, usw. - Und da kann ich wieder sagen, dass sie über die Farbe "U" schon genau dasselbe wissen, nämlich dass sie anders aussieht als alle anderen Farben.

 Mary

F.: Sie kennen das berühmte Mary-Gedankenexperiment? Eine Variante lautet so: Eine Frau namens Mary leidet seit ihrer Geburt unter dem Handicap, die Farbe Rot nicht sehen zu können - sie sieht nur Grau an ihrer Stelle. Um ihren diesbezüglichen Minderwertigkeitskomplex zu kompensieren, entwickelt sich die Frau zu einer Expertin für die Farbe Rot. Alles, was man über die Farbe Rot und ihre Wahrnehmung oder den Gebrauch von Farbwörtern wissen kann, also alle "weltlichen" Fakten, hat sich Mary beigebracht. Doch dann stellt sich heraus, dass Marys Sehfehler durch eine Operation behebbar ist. Mary lässt sich operieren, und jetzt kann sie die Farbe Rot auch sehen.

Offensichtlich weiss Mary nun mehr über Rot als zuvor, sie weiss jetzt, wie ihr Rot erscheint. Und folgt daraus nicht, dass alle naturwissenschaftlichen Tatsachen, die sie zuvor schon kannte, einen Punkt ausgelassen haben, nämlich dieses "Wie-es-ist-Rot-zu-sehen"?

A.: Mary hat jetzt eine Farbe mehr, das ist richtig. Aber das heisst noch nicht, dass sie mehr weiss als zuvor. Es heisst nur, dass sie eine bestimmte Fähigkeit erworben hat, die ihr zuvor fehlte, nämlich die Fähigkeit, graue und rote Gegenstände zu unterscheiden.

F.: Vielleicht ist das der Grund, warum eine andere Variante des Experimentes bekannter ist: Mary ist nicht farbenblind, sondern nur in einer Umgebung aufgewachsen, in der es keine roten Gegenstände gab. - Anstelle einer Operation besteht die wesentliche Änderung in Marys Befreiung aus diesem Milieu. Nach dieser wird sie erstmalig mit roten Gegenständen konfrontiert.

In diesem Fall können Sie nicht mehr sagen, dass Mary eine neue Fähigkeit dazugewonnen hat, denn die Fähigkeit, rote Dinge von andersfarbigen zu unterscheiden, besass sie schon vorher - nur dass sie nicht ausgeübt wurde. Dennoch hat Mary irgendetwas dazugewonnen. Sie wusste schon zuvor aus ihrer Lektüre, dass ein Sonnenuntergang rot aussieht, und hat auf Schwarz-Weiss-Fotos schon welche gesehen, doch jetzt, wo sie zum ersten Mal in natura einen erlebt hat, weiss sie mehr - und es erscheint mir sehr naheliegend, dieses Wissen als das "Wissen-wie-Rot-erscheint" zu identifizieren.

A.: Sie weiss, das ihre Empfindung von Rot anders ist, als die anderen Farbempfindungen, die sie früher bereits hatte (und dass es sich so verhalten würde, wusste sie übrigens zuvor auch schon). Aber wenn Sie meinen, dass sie ein Wissen über das "wie-es-ist-Rot-zu-sehen" erlangt hat, wollen Sie natürlich was anderes sagen. - Wittgenstein karikiert dieses angebliche Wissen um das "what-it's-like" in folgender Bemerkung:

[PU 279] Denke dir Einen, der sagte: "Ich weiß doch, wie hoch ich bin!" und dabei die Hand als Zeichen auf seinen Scheitel legt!

Es macht eben keinen Sinn, zu sagen "Ich weiss, wie mir Rot erscheint" wenn Vergleiche logisch ausgeschlossen sind. "Ich weiss doch wie hoch ich bin - nämlich höher als mein Bruder" - diese Aussage dagegen drückt echtes Wissen aus.

 Philosophische Zombies

F.: Das Zombieargument bestreitet, dass es eine logische Verbindung zwischen Tatsachen der Physiologie und des Verhaltens eines Wesens und seinem Bewusstsein gibt. D. h. es bestreitet, dass es möglich ist, aus einer bestimmten Verhaltensweise oder dem Vorliegen bestimmter neuronaler Tatsachen analytisch auf Bewusstseinstatsachen zu schliessen. - Eines daran ist mir nicht klar: Warum benötigen wir hier überhaupt einen logischen Schluss? Es gibt doch z. B. auch keinen logischen Schluss von einem bestimmten Verhalten auf bestimmte Gehirnprozesse. Alle angenommenen Beziehungen zwischen Verhalten und Gehirn sind hypothetischer Natur und können sich später einmal als nicht gegeben herausstellen. Was macht die Bewusstseinsproblematik so besonders, dass hier ein logischer Schluss nötig ist?

A.: Gut, nehmen wir eine bestimmte Hypothese: Verhalten X wird von Gehirnvorgang Y gesteuert. Hier fällt sofort ins Auge, dass die Kriterien für das Vorliegen von Verhalten X und die Kriterien für das Vorliegen von Gehirnvorgang Y zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Ich kann feststellen, dass in einer Versuchsperson Gehirnvorgang Y abläuft und ich kann getrennt davon feststellen, dass sie das Verhalten X zeigt. Die Hypothese lässt sich dann mit der Tatsache begründen, dass im Labor sehr häufig beobachtet wurde, dass X und Y zeitgleich auftrat. Natürlich ist das kein logischer Beweis - die Hypothese könnte durch andere Beobachtungen widerlegt werden.

Im Falle des Bewusstseins ist die Sachlage aber nicht die, dass wir erstens Kriterien für das Vorliegen von Bewusstseinszuständen haben, zweitens Kriterien für das Vorliegen physiologischer Zustände (oder eines bestimmten Verhaltens) und wir nun eine Hypothese über die Verbindung beider aufstellen wollen. Es geht vielmehr um die Frage, welche Kriterien für das Vorliegen von Bewusstseinszuständen wir haben.

F.: Ja gut, aber was hat das mit Logik zu tun?

A.: Kriterien für das Bestehen einer bestimmten Tatsache sind andere Tatsachen, aus deren Gegebensein logisch folgt, dass die Tatsache besteht. Das Kriterium für das Vorliegen von Tuberkulose ist das Sich-Vermehren von Tuberkel-Erregern im Körper eines Menschen. Ist das bei einem bestimmten Menschen der Fall, so folgt daraus zwingend, dass der Betreffende Tuberkulose hat. Dieses Kriterium ist Teil der Bedeutung des Wortes "Tuberkulose". - Das Zombie-Argument bestreitet, dass es z. B. für das Vorliegen von Schmerzen solche Tatsachen gibt. Wenn es sie gäbe, dann wäre der Zombie nicht denkbar (so wie es nicht denkbar ist, dass jemand, in dessen Körper sich Tuberkel-Erreger vermehren, keine Tuberkulose hat).

F.: Nun hiess es zu Beginn, dass Wittgensteins Argumentation tatsächlich die Konsequenz nach sich zieht, dass "philosophische Zombies" nicht denkbar sind. Ich kann aber nach wie vor nicht sehen, wie es eine logische Verbindung zwischen bestimmten äußerlichen Merkmalen (z. B. Verhalten) und Bewußtsein geben kann. Ist es nicht immer noch möglich, dass ein Wesen, das sich so aufführt, als habe es Schmerzen, in Wahrheit gar keine hat?

A.: Wenn ein Wort Sinn haben (einen Gebrauch in der Sprache haben) soll, muss es Paradigmen für seine richtige Benutzung geben. - Der Gebrauch des Wortes "Schmerzen" in der 3. Person sieht nun so aus, dass wir Verhaltenskriterien verwenden, wenn wir Wesen Schmerzen zuschreiben. Also muss es auch paradigmatische Fälle geben, in denen diese Kriterien die Zuschreibung erzwingen, Fälle, in denen nicht daran gezweifelt werden kann, dass ein Wesen Schmerzen hat.

F.: Sie meinen es vermutlich so: Wer leugnet, dass es auch nur einen Fall gibt, in dem wir aufgrund von Verhaltenskriterien darin gerechtfertigt sind, zu sagen, dass jemand Schmerzen hat (oder keine Schmerzen hat), der leugnet, dass das Wort "Schmerzen" einen Sinn hat. Wer also behauptet "Es kann nie sicher sein, ob ein Wesen Schmerzen hat oder nicht", macht sich eines "performativen Selbstwiderspruchs" schuldig. Denn wenn er das Wort "Schmerzen" benutzt, setzt er voraus, dass es sichere Anwendungsfälle gibt. - Aber dann müssten Sie ja auch in der Lage sein, mir wenigstens ein solches Paradigma zu nennen.

A.: Ich bin nicht in der Lage, zu bezweifeln, dass der jammernde Verletzte, dessen Unfall ich mit angesehen habe, Schmerzen hat.

F.: Das mag ja sein, dass Sie in diesem Moment nicht in der Lage sind, daran zu zweifeln. Aber schließt das den Zweifel logisch aus? Es ist ja immer noch denkbar, dass der Unfall eine Inszenierung mit einem Schauspieler war, auch wenn Sie das gerade nicht denken können.

A.: Gut, ein anderer Fall. Ein kleines Kind, dass hinfällt, sich das Knie aufschlägt und dann weint.

F.: Sie wollen darauf hinaus, dass kleine Kinder sich nicht verstellen. Aber das Kind ist vielleicht keins, sondern ein schauspielernder Zwerg - Ihnen vor die Nase gesetzt, um zu zeigen, dass wirklich jeder Fall unsicher ist ...

A.: Wenn das Kind ein Zwerg ist, ist es möglich, dass der Zwerg sich verstellt. Aber es ist nicht möglich, dass ein kleines Kind sich verstellt. Wir fragen jetzt ja nicht nach einem Paradigma für die Verwendung des Wortes "Kind". - Wenn ich sagen würde, dass undenkbar ist, dass ein Stein Bewußtsein hat, würden Sie vermutlich darauf hinweisen, dass der Stein ja ein getarntes und zusammengerolltes Tier sein könnte. Aber dann ist er eben kein Stein und kann nicht zeigen, dass es nicht undenkbar ist, dass ein Stein Bewußtsein hat.

F.: Jedenfalls zeigt das, dass es nicht so einfach ist, Paradigmen zu benennen. Sollte es das aber nicht sein?

A.: Daraus, dass wir Worte korrekt verwenden, folgt eben nicht, dass wir den Gebrauch sofort korrekt beschreiben können. Und die Paradigmen gehören zum Gebrauch.

F.: Wenn es undenkbar ist, dass das schreiende Kind keine Schmerzen hat, bricht das Zombie-Argument in sich zusammen. Es gibt dann eben doch Fälle, in denen eine logische Verbindung zwischen bestimmten äußeren Merkmalen und bestimmten inneren Zuständen besteht - die Verbindung wird einfach dadurch hergestellt, dass unsere Bewußtseinsworte einen Gebrauch in der 3. Person haben. - Wie kommt es dann aber, dass das Zombie-Gedankenexperiment auf viele Leute so überzeugend wirkt?

A.: Skeptizistische Argumente sind am überzeugendsten, wenn man das nicht vor sich sieht, was man für bezweifelbar halten will. Im "Lehnstuhl" kann ich bezweifeln, dass meine Frau Bewußtsein hat. - Wenn sie dabei ist, kann ich das nicht.

F.: Sie sagen "skeptizistisch". Aber Chalmers (zur Zeit der bekannteste Vertreter der pro-Zombie-Fraktion) leugnet ausdrücklich, dass er daran zweifelt, dass es auf der Erde keine Philosophischen Zombies gibt. Er sagt doch lediglich, dass ein Planet logisch denkbar ist, auf dem alle physikalischen Tatsachen so sind wie auf der Erde, obwohl alle Menschen dort Zombies sind.

A.: Chalmers äussert sich in seinem Aufsatz "Consciousness and its Place in Nature" wie folgt (http://consc.net/papers/nature.pdf):

"There is little reason to believe that zombies exist in the actual world. But many hold that they are at least conceivable: we can coherently imagine zombies, and there is no contradiction in the idea that reveals itself even on reflection. As an extension of the idea, many hold that the same goes for a zombie world: a universe physically identical to ours, but in which there is no consciousness. [...] Zombies are probably not naturally possible: they probably cannot exist in our world, with its laws of nature. But the argument holds that zombies could have existed, perhaps in a very different sort of universe. [...]"

Das verrät eine bemerkenswerte Inkonsequenz. Wie kommt Chalmers darauf, dass die Zombies in unserer Welt "unwahrscheinlich" sind?

F.: Nun, er verweist doch auf die bei uns geltenden Naturgesetze. Anscheinend meint er, dass sie es wahrscheinlich machen, dass es bei uns keine Zombies gibt.

A.: Welche Gesetze meint er denn? Die gewöhnlichen, "physikalischen" Gesetze sicherlich nicht, denn die sind seiner Ansicht nach ja mit der Anwesenheit von Zombies logisch verträglich. Also muss er Gesetze meinen, die das zusätzliche Element der Realität, für das Chalmers das Bewusstsein hält, betreffen. Über diese Gesetze wissen wir aber natürlich nichts. Könnten Sie nicht bestimmen, dass kein Mensch Bewusstsein hat, ausgenommen David Chalmers? (Bewusstsein könnte eine Art seltener Missbildung sein, z. B. wie ein sechster Finger.)

Da es definitionsgemäss keine Möglichkeit gibt, einen Zombie von einem echten Menschen zu unterscheiden, gibt es kein Testverfahren, das es Chalmers erlauben würde, seine Überzeugung, dass es keine Zombies auf Erden gibt, wahrscheinlich zu machen. Wenn wir mal annehmen, dass es sinnlos ist, daran zu zweifeln, dass man selbst Bewusstsein hat, bleibt Chalmers als einzige Möglichkeit der Schluss von sich auf andere. Und dieser Schluss wäre kein solider Erfahrungsschluss, sondern ein Schluss von einem Einzelfall auf 7 Milliarden andere Fälle. Unter diesen Voraussetzungen besteht also Grund genug, an der Bewusstheit unserer Zeitgenossen zu zweifeln und Chalmers diesbezügliche Sicherheit erscheint irrational. - Ein Skeptizismus wäre die logische Folge, wenn Chalmers seinen eigenen Standpunkt wirklich ernstnehmen würde.

 

ENDE